Lehrermangel: KMK-Entscheidung
Den Lehrkräftemangel mag es zwar nicht erst seit gestern geben, aber noch nie war die Knappheit an ausgebildetem Lehrpersonal so akut und drastisch wie es im Jahre 2023 der Fall
ist. Für Aufruhr und Spott hat erst neulich die Kultusministerkonferenz gesorgt, als das Gremium ihr Gutachten zum Lehrermangel publik gemacht hat. Die Empfehlungen zum Umgang mit der Personalnot erhitzten insbesondere die Gemüter vieler bereits praktizierender LehrerInnen. Ein erschreckendes Bild von Verzweiflung und Handlungsohnmacht zeichnet sich ab.
Die Forderung der ExpertInnen: Man müsse die Arbeitsbedingungen ad hoc verschärfen, damit die gewaltige Arbeitsbelastung auch in 2023 bewältigt werden kann. Gegenwärtige LehrerInnen im Dienst sollen diese Bürde auf sich nehmen – und damit trifft diese Entscheidung auch die Menschen, die bereits am Anschlag arbeiten. Konkret sollen folgende Maßnahmen bundesweit Inkrafttreten:
Maßnahmen zum Lehrkräftemangel: Die Empfehlungen des KMK-Gutachtens
1. Ausdehnung des Arbeitspensums: Teilzeitstellen werden nur noch in besonderen Fällen zugesichert; der Pensions-/Renteneintritt soll später erfolgen; die Unterrichtsverpflichtung wird erhöht.
2. Weiterqualifikation der LehrerInnen in Mangelfächern
3. Entlastung durch Studierende
4. Auslagerungen in den Hybridunterricht und Erweiterung der Selbstlernzeiten
5. Gesundheitsförderungen zur LehrerInnengesundheit stärken
6. Quereinstiege erleichtern
Es ist von einer „Sicherstellung der Unterrichtsversorgung“ die Rede und Außenstehende fragen sich zurecht, ob die aktuelle Lage erstens wirklich so gravierend ist, dass die Unterrichtsversorgung grundlegend gefährdet ist, und zweitens die zu erwägende Problemlösung tatsächlich auch im Verhältnis zum eigentlichen Problem steht. Und was den demografischen Wandel betrifft, so sieht die Zukunft in der Tat alles andere als rosig aus:
Während einerseits eine Pensionierungswelle bevorsteht, steht den abtretenden Lehrkräften eine bloß kleine Gruppe von Lehramtsanwärterinnen gegenüber, was schon mit den kleinen Geburtskohorten erklärt werden kann. Darüber hinaus wächst die Herausforderung, immer mehr kriegsgeflüchtete Kinder zu beschulen. Der problematische Aufriss des Lehrerkräftemangels ist demnach durchaus gerechtfertigt – es gibt zu wenig praktizierende LehrerInnen als es die Sachlage erfordert. Schlimmer noch: Prognosen zufolge soll dieser Mangel auch in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben. Wie aber verhält es sich nun mit den Maßnahmen?
1. Ausdehnung des Arbeitspensums
Teilzeitstellen zu streichen und LehrerInnen in das Vollzeitarbeitsmodell hineinzuzwängen mag kurzsichtig gesehen zu einem größeren verfügbaren Arbeitspensum führen, doch zu der ach so gepredigten LehrerInnengesundheit trägt dieses Vorhaben sicherlich nicht bei. Zurecht entscheiden sich Lehrende ganz individuell für eine kürzere Arbeitswoche, um für sich eine gesunde Work-Life-Balance beizubehalten oder bei weniger Unterrichtsstunden eine bessere Unterrichtsqualität sicherzustellen, an welcher teilweise sogar außerhalb der vorgesehenen Arbeitszeit gearbeitet wird. Alles andere als gesund wäre auch die Umsetzung zur höheren Unterrichtsverpflichtung: Mehr Klassen zu betreuen würde letztlich ebenso ein Mehr an Vorbereitungszeit bedeuten. Zwar war ausdrücklich von einer zeitweiligen Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung die Rede, aber wie es dann in der Realität ausschaut, bleibt abzuwarten. Desaströse Verhältnisse für alldiejenigen, die bereits schon ihre Päckchen zu tragen haben und auch vor einem Burn-Out nicht mehr weit entfernt sind.
2. Nachqualifizierung der LehrerInnen in Mangelfächern
Allgemein sind Weiterqualifikationen, die sich Lehrende fachlich zutrauen, lohnenswert für die Personalplanung, denn wer flexibler Fächer unterrichten kann, kann Lücken in dem Unterrichtsangebot schließen. Die dahinterstehende Logik, die von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) ausgeht, sieht jedoch vor, das Personal über den aktuellen Workload hinaus einzusetzen (s.o.). Die „wenigen“ LehrerInnen, die schon viel leisten, werden für das Ableisten von Mehrarbeit künftig über ihr Limit hinaus gehen müssen. Dass Studierende bei dem Personalproblem Abhilfe schaffen sollen, gleicht viel mehr einer Notlösung zum Lehrkräftemangel.
4. Auslagerungen in den Hybridunterricht; Erweiterung der Selbstlernzeiten
Insgesamt ist ein Trend erkennbar, bei dem an der Qualität und Intensivität der unterrichtlichen Betreuung gespart wird. Der Digitalisierung sei Dank besteht weiterhin die Möglichkeit, wie zu Pandemiezeiten, Homeschooling im hybriden Modell anzubieten. Dadurch soll erreicht werden, dass mehr SchülerInnen an einem Onlinekurs teilnehmen können, als es in Präsenz zu realisieren wäre. Individuelle Förderung? – Naja, diese kommt bei solchen Modellen regelmäßig zu kurz. Dass Selbstlernzeiten auf gewisse Weise problematisch sind, wenn sie Überhand nehmen und das Unterstützungsangebot zudem nicht ausreichend gedeckt werden kann, dürfte klar sein.
5. Gesundheitsförderungen zur LehrerInnengesundheit stärken
Sonderbarerweise verfolgt die KMK das Ziel, die LehrerInnengesundheit trotzdem fördern zu wollen. Ein witzloses Paradoxon, das fassungslos macht. Wie aber soll die Gesundheit der Lehrenden gestärkt werden, während man ihnen eine kaum zu bewältigende Herausforderung im Sinne einer Sisyphusarbeit stellt?
6. Quer- und Seiteneinstiege ggf. erleichtern
Die SWK will die Frage des Quereinstiegs künftig differenzierter erörtern. Fakt ist, dass bei den Vorkenntnissen streng kontrolliert werden muss, ob das fachliche Wissen und das pädagogische „Know-How“ für eine professionelle Unterrichtsgestaltung ausreicht. Ohnehin wünscht sich selbst die SWK, dass Quer- und SeiteneinsteigerInnen als unterstützende Kräfte fungieren und sie den hautpverantwortlichen LehrerInnen in organisatorischen und bürokratischen Belangen zuarbeiten. Wie und in welchem Umfang das fortgebildete Personal schließlich in der Lehrpraxis tätig werden kann, um dem Lehrkräftemangel den Garaus zu machen, bleibt fraglich.
Das KMK-Gremium hat auf die Frage, wie man den LehrerInnenberuf bestmöglich unattraktiv gestalten kann, mit der Aufzählung der ad hoc-Maßnahmen geantwortet. Immer weniger LehramtsanwärterInnen interessieren sich für den pädagogischen Beruf und anstatt etwas aktiv um neues Personal zu bemühen, tun sie sogar etwas proaktiv dagegen: Wer würde sich freiwillig in einen Job begeben, der so wenig individuelle Freiheiten vorsieht, wie es beim Lehramt der Fall ist?