KI-Dystopie im Klassenzimmer: Macht Chat GPT das Lernen bald überflüssig?

Für viele Lehrkräfte ist Chat GPT ein wahrgewordener Albtraum: Durch die wissenschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit wird der menschliche Alltag immer komfortabler und das ist grundsätzlich auch gut so. Dieses Privileg sollte – so die Kritik der GegnerInnen – jedoch nicht SchülerInnen zuteilwerden, wenn es um die Verwendung von Chat GPT geht: Bei Chat GPT handelt es sich um eine künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, individualisierte Texte (dem Themenwunsch der NutzerInnen entsprechend) zu verfassen. Die Frage, die sich stellt: Müssen Schulen nun von dem Schlimmsten ausgehen und sich darauf einstellen, dass SchülerInnen ihre gesamten Hausaufgaben unbemerkt mithilfe von Chat GPT verfassen? Werden SchülerInnen künftig kaum mehr selbst tätig und können sich so zu ihrem Abschluss „hochmogeln“?

In diesem Beitrag wollen wir ganz von vorne beginnen: Wir stellen die KI vor und setzen uns mit dem Gebrauch des Programms im Kontext der Schule auseinander. (Es soll eine vorläufige Antwort auf die Frage, ob und wie Chat GPT und verwandte Sprachmodelle dieser Art im Klassenzimmer sinnvoll genutzt werden können, gefunden werden.)

Chat GPT – ein Chatbot für alle Schreibfälle

Chat GPT steht zum einen für „Chatbot“, also einem Dialogsystem bei dem NutzerInnen mit dem Programm über ein Dialogfeld kommunizieren können, zum anderen für „GPT“, was für „Generative – Pretrained – Transformer“ steht. Abstrakt gesagt, steckt hinter dem Chatbot ein künstliches neuronales Netz, das mit Daten gefüttert wurde und dazu imstande ist, Inhalte wörtlich immer wieder neu zu generieren. Die angeforderten Inhalte werden auf sprachbasierter Basis erstellt: Man könnte sich das in etwa so vorstellen, dass weite Teile des World Wide Webs eingescannt wurden und dadurch das gewünschte Wissen wörtlich kontextuell neu hergestellt werden kann. Die Datenbank, die dem System zugrunde liegt, umfasst circa 461 Terabyte (ca. 3,35 Mrd. Webseiten zzgl. weiterer Inhalte aus Büchern, Social-Media-Kanälen etc.). Zwar wurde das Programm nur bis ins Jahr 2021 mit Daten befüllt, jedoch gelingt es ihm, sich selbst themenbezogen zu optimieren, weil das System aus den Rückmeldungen der NutzerInnen lernen kann. Grundsätzlich kann über seinen Gebrauch gesagt werden, dass konkretere Fragen, auch konkretere Antworten zur Folge haben.

Das kann Chat GPT: Entlastungen für Schülerinnen und Schüler

Der Chatbot kann uns im Sinne einer Enzyklopädie Frage und Antwort stehen. Er kann aber auch Befehle ausführen, sodass vor allem SchülerInnen an vollwertige schriftliche Arbeiten gelangen können. Konkrete (schulbezogene) Anwendungsszenarien, die einen richtigen Mehrwert für die Lernenden haben, könnten demnach so aussehen:

– Wertfreie Beantwortung der Schülerfragen: Das Programm beantwortet alle Fragen der SchülerInnen. Kinder und Jugendliche werden dazu angeregt, selbst solche Fragen zu stellen, die sie aus Gründen des Schams normalerweise nicht vor ihren LehrerInnen stellen würden.

– Feedback auf Schüleraussagen: Das Programm kann eine Rückmeldung auf die Äußerung/den Text der SchülerInnen geben und kann den Inhalt auf seinen Wahrheitsgehalt hin prüfen und dessen sprachliche Qualität bewerten.

– Zeiteffizientes Arbeiten: Die wichtigsten Kernaussagen diverser Texte können schnell und komprimiert zusammengefasst werden. Es ist zudem sogar in der Lage, Aufgaben vollständig zu lösen: Aufsätze schreiben, Inhaltsangaben und Analysen verfassen, Portfolios erstellen; natürlich stellen auch Matheaufgaben für die KI kein Problem dar.

Ohne Regulierungen an Schulen etwa Missbrauch von Chat GPT?

Die Nachteile liegen damit offensichtlich auf der Hand: Vordergründig könnte ein maßloser und unreflektierter Gebrauch dazu führen, dass das Programm aus Bequemlichkeit für Hausarbeiten missbraucht wird. Damit hören die Probleme beim Einsatz von Chat GPT allerdings nicht auf:

– Chat GPT arbeitet fehlerhaft: ForscherInnen im Bereich KI sprechen von einem Phänomen, welches sich „Hallucination“ nennt: Dadurch, dass die generierten Antworten aus den sprachbasierten Kontexten herausgezogen und schließlich wieder (zufällig) zusammengelegt werden, könnte von Chat GPT tatsächlich falsches Faktenwissen ausgehen. Dies mag im Verhältnis zu den richtigen Fakten seltener vorkommen, doch wird insgesamt davor gewarnt, dem Programm blind zu vertrauen. Die Crux ist zudem, dass die NutzerInnen sich in der Regel mit dem Thema auskennen müssen, um die Falschaussagen zu erkennen. Beispielsweise ist es einfacher festzustellen, dass „Elefanten keine Eier legen“ (wie es einst von dem

Sprachmodell behauptet wurde), als zu wissen, dass die dramatische Wirkung eines Films „insbesondere durch seine musikalische Hintergrundkulisse verstärkt wird“, obwohl der Film musikalisch etwas Derartiges gar nicht zu bieten hat.

– Falsche Einschätzung sozialer Situationen: Chat GPT gelingt es nicht zuverlässig, soziale Situationen „nach dem gesunden Menschenverstand“ richtig zu bewerten. Hier ein Beispiel: Als Ersatz für die bekleckerte Hose würde das Sprachmodell das Tragen einer Badehose (die man als einzige Wechseloption zufällig dabei hätte) im Gerichtssaal bejahen.

Kein schülertypischer Schreibstil: Selbstverständlich ist das Programm darum bemüht, dass die Formulierungen so mustergültig wie nur möglich sind und sie nicht so wirken, als würden sie aus den Federn der SchülerInnen stammen, was das Ganze relativ unglaubwürdig macht.

Langfristiges Lernproblem: Es herrscht die große Angst, dass ein jahrelanger, übermäßiger Gebrauch dazu führt, dass SchülerInnen zu Wissensdefiziten ansetzen, wenn sie das Programm unreflektiert und zur „Abarbeitung“ der Hausaufgaben nutzen.

Ein fader dystopischer Beigeschmack: Obwohl das System aktuell kostenfrei genutzt werden kann, gibt es bereits jetzt ein Upgrade des Sprachmodells gegen einen Aufpreis. Somit wäre es in Zukunft vorstellbar, dass sich langfristig nur diejenigen Menschen das Lernen effizienter gestalten können, die dafür die finanziellen Mittel übrighaben. Eine Abstufung nach sozialen Klassen also?

Was gegen ein Verbot von Chat GPT im Klassenzimmer spricht

Der Kampf auf dem KI-Markt ist längst eröffnet: Der Hersteller Open AI hat Chat GPT ins Rennen geschickt, aber auch an einem Konterpart zur Erkennung jener Texte gearbeitet. „Classifier“ soll künftig als Detektivtool genutzt werden können, um KI-Texte als solche entlarven zu können. Dass KI-Programme erst auf dem Vormarsch sind, ist alleine daran festzustellen, wie groß die Konkurrenz alleine in Bezug auf die aktuell verfügbaren Sprachmodellen ist: Google arbeitet an der Entwicklung von LaMDA, und auch sonst wollen andere Tools wie Claude, Character.AI, Wordtune, Sparrow ChatGPT die Stirn bieten. Der Einsatz von künstlichen Intelligenzen in deutschen Klassenzimmern wird nicht aufzuhalten sein – doch vielleicht muss es das auch nicht.

Auf den sinnvollen Umgang im Unterricht kommt es an

Chat GPT soll nach wie vor eine Bereicherung sein. Und diese Stärken sollten sich Schulen zu eigen machen. Daher ist es unerlässlich, sich mit den guten und schlechten Seiten des Tools zu beschäftigen und ihr Wissen im Unterricht aufzugreifen:

– Kritischer Umgang mit ChatGPT zum Unterrichtsthema machen: Lehrende sollten sich der technischen Herausforderung stellen und sich in der Verantwortung sehen, sich eingehend mit den Grundlagen der KI zu beschäftigen und den SchülerInnen die Chancen und Grenzen der KI darzulegen. Es gilt, die Anwendung von KI kritisch zu reflektieren und sie zu einem maßvollen Umgang mit den Systemen zu erziehen.

– ChatGPT als Lerntutor: Schließlich können auch Lehrkräfte vom Tool profitieren: Erstens kann es bei den Vorbereitungen der Unterrichtsstunden behilflich sein, zweitens können LehrerInnen ein Monitoring der KI-Antworten übernehmen und ihren SchülerInnen ihn sodann als Lerntutor zur Verfügung stellen. Dadurch kann eine individuellere Lernbetreuung am Wissensstand und Lerntempo erfolgen.

– KIs als Sprach- und Formulierungsassistent: Die Sprachmodelle können fremdsprachige Lernmaterialien ins deutsche Übersetzen und sind auch sonst nützlich, um SchülerInnen sprachliche Baustellen aufzuzeigen.

Für den Klassenraum gilt: Die Zukunft ist jetzt!

Das deutsche Bildungssystem steht im Zugzwang. Es ist keine hinnehmbare Option, sprachbasierte KIs wie ChatGPT und Co. aus dem Schulalltag zu verbannen und den Gebrauch solcher Programm zu verbieten. Allerdings dürfen sich auch Eltern nicht aus der Verantwortung ziehen, obwohl der häusliche Gebrauch der Software zwangsläufig nicht verhindert werden – doch das muss es auch nicht. Wäre es vielleicht nicht angebrachter, sich um eine Regulierung und den kritischen Einsatz solcher KI-Systeme zu bemühen und die SchülerInnen an der Debatte teilhaben zu lassen? Sowieso sollte das gängige Bildungsmodell auf den Prüfstand gestellt werden: Inwieweit spiegelt es noch die eigentlichen Bedarfe der SchülerInnen im Zeitalter von KI wider? Ist die Definition von „Bildung“ mit Rücksicht auf die immer fortschreitende Digitalisierung überholt? Das sind die Fragen, die sich die Schulpolitik, LehrerInnen und Eltern nicht erst künftig, sondern schon jetzt, im Jahre 2023 stellen sollten.

Quellen:

– Bayrischer Rundfunk: „KI-Talk: Kann ChatGPT Schule ersetzen?“ (Beitrag vom 24.02.2023): https://www.youtube.com/watch?v=T-pgipme0XM

– Quarks: „Die ChatGPT-Revolution – Bildung der Zukunft?“ (Beitrag vom 18.02.2023): https://www.youtube.com/watch?v=IgcIspIblQg